Am 18. Mai 1966 erhält die Wasser- schutzpolizei Duis- burg eine Meldung, die in die Geschichte eingehen wird: Schiffer wollen einen riesigen weißen Wal im Rhein bei Duisburg ent- deckt haben. Die Polizei vermutet trotz früher Stunde, dass Alkohol im Spiel ist, und macht zunächst einen Blutalkoholtest bei den Schiffern, zu unglaublich ist die Geschichte. Als die Beamten sich vor Ort selbst ein Bild machen wollen, wird das vier Meter lange weiße Tier wieder gesichtet. Gute 300 Kilometer von der nächs- ten Küste und noch viel weiter von seinen polaren Heimatgewässern entfernt irrt der Riese einem unge- wissen Schicksal entgegen. WIE KOMMT EIN BELUGA-WAL IN DEN RHEIN? Die Frage, wie ein Beluga-Wal überhaupt in den Rhein kommt, bleibt lange ein Rätsel. Es ist durchaus nicht unüblich, dass Belugas zumindest in die Ostsee schwim- men, obwohl sie eigentlich hauptsächlich vor den Küsten Alaskas, Kanadas und Russlands leben. Dass Belugas aber über die Nordsee in deutsche oder hollän- dische Flüsse schwimmen, ist äußerst selten. Späteren Presseberichten zufolge hatte der Wal ursprünglich mit einem Transportschiff in einen englischen Zoo gebracht werden sollen. Das Schiff soll in einen Orkan geraten, das Tier infolgedessen von Bord gespült worden und so als „Schiffbrüchiger“ über Rotterdam in den Rhein gelangt sein. Die Nachricht vom Beluga-Wal im Rhein verbreitet sich – auch ganz ohne soziale Medien – wie ein Lauffeuer. Anwohner trauen ihren Augen nicht, als sie die Fon- täne des Tieres von ihren Wohnungen aus beobachten. Das Telefon der Wache in Ruhrort steht nicht mehr still, sogar die New York Times möchte mehr über den mitt- lerweile „Moby Dick“ getauften Beluga wissen. Schnell sind die Ufer des Rheins gefüllt mit tausenden Schau- lustigen, Rheinlokale müssen wegen Überfüllung schließen und Journalisten mieten Boote, um den Wal 01 02 Weißer Riese: 1966 sorgte „Moby Dick“ im Rhein für Aufregung. Versuch zwecklos: Diverse Versuche, den Belugawal zu fangen, scheiterten. noch besser beobachten zu können. Aber auch Um- weltaktivisten sind schnell mit von der Partie, denn der gejagte Wal, dem das durch Industrieabwässer äußerst verdreckte Rheinwasser gar nicht gut bekommt, wird zum Symbol der Umweltverschmutzung und läutet eine bis dato nie dagewesene Natur- und Tierschutzbewe- gung und ein Umdenken der Adenauer-Regierung ein. „MANN, IS DIT EEN WURM“ Der zur Rettung des Wals herbeigerufene Zoodirektor Wolfgang Gewalt will das Tier möglichst schnell einfan- gen, um ihm im Delfinarium des Zoos eine neue Heimat zu geben. „Mann“, sagt Gewalt, als er das knapp vier Meter lange und geschätzt 750 Kilogramm schwere Tier sieht, „is dit een Wurm.“ Seine recht planlos wirkenden Fangversuche von gespannten Tennisnetzen über Seil- schlingen bis zu Betäubungspfeilen scheitern allesamt und lösen eine Welle der Empörung aus, was letztend- lich zu ihrer Einstellung führt. Die Geschichte des weißen Wals im damals verseuchten Rhein bewegt auch heute noch die Gemüter. Veröffent- lichungen und Bücher dokumentieren in den letzten 50 Jahren immer wieder seine Reise. In Bonn wurde 1976 das Rheinschiff „Moby Dick“ nach ihm benannt und die Duisburger Wasserschutzpolizei verwendet für ihren Funk bis heute den Rufnamen „Beluga“. 02 Moby Dick schwimmt damals fast vier Wochen ziellos den Rhein auf und ab, er dreht vor der eigens für ihn geöffneten Schleuse Kornwer- derzand und schwimmt erneut rheinaufwärts bis Bonn, wo sein Auftauchen am 13. Juni 1966 sogar eine Bun- despressekonferenz unterbricht. Die Weltpolitik steht still, Politiker und Journalisten stürmen zum Rhein, um einen Blick auf das verirrte Tier zu erhaschen. Erst kurz vor Rolandseck drehte er wieder um und wird drei Tage später, am 16. Juni um 18:42 Uhr, zum letzten Mal auf seinem Weg in die Freiheit beim Erreichen des offenen Meeres nahe Hoek van Holland gesehen. Und damit endete die ungewöhnliche Reise von „Moby Dick“... 31